Cтатьи
Die Rede von Dr. Elmar Zorn
Dr. Elmar Zorn, 2004
Meine Damen und Herren,
Wer durch die Ateliers der grossen Maler und Fotografen in Moskau geht, und dann hier diese Ausstellung sieht, wird nicht fuer moeglich halten, dass wir so mit den Werken eines Moskowiter Fotografen zu tun haben. Denn Wadim Guschtschins s/w-Inszenierungen beziehen sich nicht auf etwa die grossen russischen Meister der Moderne, Malevitsch oder Rodtschenko, auch nicht die Tradition des Bauhauses wie Mogoly-Nagy, noch nicht einmal Fotografie der Neuen Sachlichkeit mit ihren amerikanischen Ablegern , etwa Andreas Feininger.
Guschtschin knuepft an eine Ueberlieferung an, die fast allen uns dem Sinn gekommen ist, naemlich die Stilleben der Barockmalerei – also exakt solche Gemaelde, bei denen Museenbesucher schnell weiterzugehen pflegen. Die mangelhafte Aufmerksamkeit, mit denen wir solche Werke behandeln, meinst zu Unrecht, kehrt sich beim Betrachten der fotografischen Stilleben-Inszenierungen von Guschtschin um, aufgrund der faszinierenden Praesenz seiner Objekte. Die Akzentuierung, die unsere Wahrnehmung in Bahn haelt, ruehrt einmal von dem geradezu extremen Licht-Schatten-Spiel umd damit einer hochplastischen Wirkung her, zusaetzlich durch den Kunstgriff, alle abgelichteten Gegenstaende auf ein Regalbrett zu stellen, und sie so isoliert hervorzuheben, gewissermassen auf dem Praesentierteller (gemaess der deutschen Redewendung). Ein Kunstgriff also, der deswegen so wirkungsvoll ist, weil das Brett selber durch den Fotografiewinkel von unten nach oben nur auf seine linear-horizontal begrenzende Funktion beschrenkt und eben nicht als Koerpervolumen integriert in die Bildaussage ist, sehr im Gegensatz zu der Koerperhaftigkeit der Gegenstaende. Architektur wird zuweilen so fotografiert, von guten Architekturfotografen, wie etwa dem Duesseldorfer Kuenstler Markus Schwier.
“Geonetrie der Hygiene”: dieser Titel nimmt sich erst einmal raetselhaft aus. Wir verstehen aber, dass die Bilder von Guschtschin streng, geometrisch aufgebaut sind. Bei genauerem Hinsehen bemerken wir, dass eben nicht alles so geometrisch ist, wie es beim ersten Anblick wirkt: eine Form wicht aus oder ab, rutscht weg, es passt eben nicht alles, oder “geht schief”, wie der Kuenstler es in seinem nahezu perfekten gestochen artikulierten Deutsch formuliert.
Bevor sich also der geometrische Gegenstand, simple Plastikbecher, Messer und Gageln, Toilettenpapier, Schwaemme und Seifen, aufloesst in seiner Vergaenglichkeit durch Nutzung der Konsum, haelt ihn die Fotografie fest und gibt ihm die feierliche Ehre auf der Buehne, die das Regalbrett ihm bietet, sozusagen zum letzen Mal aufzutreten und somit bemerkt zu werden – ueber siene Zeit hinweg und Teil eines imaginaeren Archiv von Dingen zu werden, die als solche nicht haltbar sind.
“Hygiene” ist, wenn man will, die Blockierung organisches Wachstums von Dreck, Schmutz, Kot und Abfall durch systematisch strukturierte Beseitigungshandlungen und Materialien wie Seife, Schwamm, Toillettenpapier, Wegwerfbehaelter und –besteck, damit nicht das Nur-Organische, chaotische Oberhand gewinnt, sondern das Ordnungsprinzip, also die Geometrie, die Gegenstaende zusammenhaelt, auch in ihrer Beziehung untereinander. Daher arbeitet Guschtschin in Serien, um solche Beziehungsgeflechte zur Entfaltung, zu ihrer Gesamtform kommen zu lassen.
Im Paradox ihrer Entkontextualisierung und des Neu-in-Beziehungsetzen ihrer isolierten Aus-Stellung befreit der Kuenstler die banalen Alltagsgegenstaende vom Alltag, holt sie, wie gesagt, aus Gebrauch und damit aus der Zeit heraus – ein Vorgang der Mythisierung bzw. Auratisierung, der darin besteht, dass Menschen andere Raeume und andere Zeitablaeufe und Rhythmen fuer exponierte Gegenstaende und Beziehungen erfinden. Man koennte auch sagen: der Kuenstler gibt in seinen Fotoinszenierungen den Sachen ein neues Geheimnis, das vielleicht ihr altes ist, er weist auf etwas in ihrer banalen Sachlichkeit verborgenes hin, auf einen Maerchenzusammenhang vielleicht. Paradox ist die Inszenierung deshalb, weil einerseits in seiner fotografischen Analyse der Formen der Geist des Objektes freigesetzt wird und andererseits er sich von ihnen verabschiedet, indem er ihnen in seinen Fotografien Maerchensaerge aus gefrorenen Augenblicken zimmert. Wir kennen aenliche Verfahrenweisen der Belebung von Gegenstaenden aus dem im Vergleich mit Guschtschins Technik weit wenigeg subtilen Animationstechniken des Trickfilms, so seit Walt Disneys Film der tanzenden Speisekammerutensilien aus den 30-er Jahren. In der 30-er Jharen war auch die Bluetezeit einerseits des dadaistischen und surrealistischen Dingverstaendnisses sowie naturkundlichen Pflanzenfotografien von Blossfeldt. Guschtschins Aufnahmen bzw. Serien tragen von beiden eine Erinnerung: sie sind die uebriggebliebenen Reste eines rationalistischen Dinges und Welterklaerung wie gleichzeitig von irrationalistischen, sich verbergenden Zusammenhaengen. Ihr Inszenator, der sie aus seiner Umgebung oder zufaelligen Begegnungen herausgeholt hat, ist Ironiker. Weil er sie eigentlich liebt, will er sich nicht entscheieden, ob sie im Zustand geometrischer Hygiene halten will oder sein artifizieler Augenblicks-Archiv einen Abschiedsgruss auf dem Weg fortschreitender Vergaenglichkeit darstellt, - sterile Sicherheit oder maerchengeschmueckte Aufloesung. Weil diese artifizielle, hochaesthetische Licht-Schatten-Natur seiner Werke uns neue Einsichten in den Geist und die Natur der Gegenstaende eroeffnet, verlebendigen sich Guschtschins, auf den ersten Blick so nuechterne, geradezu duerftige Movive und durchdringen die Schichten unserer abgestumpfen Wahrnehmungsfaehigkeit. Nicht wie Morandis in sich objektiviert ruhende Sachwelt, nicht wie vom Menschen verlassenen, nach ihm schreienden Dinge in Robert Wlsers Interieur-Fotos, sondern als beseelung unserer Dingwelt mit den Mitteln, dem Wissen und der Kompetenz der Kunst und deres Meisters. Hierin wenigstens folgt Guschtschin dann doch, was ja die Fachwelt seines Landes in Abrede gestellt hat, nicht der ranzoesischen oder deutschen Linie der Neuen Sachlichkeit, sondern ist Russe und voellig eigenstaendig.
Ich danke Ihnen!
Wer durch die Ateliers der grossen Maler und Fotografen in Moskau geht, und dann hier diese Ausstellung sieht, wird nicht fuer moeglich halten, dass wir so mit den Werken eines Moskowiter Fotografen zu tun haben. Denn Wadim Guschtschins s/w-Inszenierungen beziehen sich nicht auf etwa die grossen russischen Meister der Moderne, Malevitsch oder Rodtschenko, auch nicht die Tradition des Bauhauses wie Mogoly-Nagy, noch nicht einmal Fotografie der Neuen Sachlichkeit mit ihren amerikanischen Ablegern , etwa Andreas Feininger.
Guschtschin knuepft an eine Ueberlieferung an, die fast allen uns dem Sinn gekommen ist, naemlich die Stilleben der Barockmalerei – also exakt solche Gemaelde, bei denen Museenbesucher schnell weiterzugehen pflegen. Die mangelhafte Aufmerksamkeit, mit denen wir solche Werke behandeln, meinst zu Unrecht, kehrt sich beim Betrachten der fotografischen Stilleben-Inszenierungen von Guschtschin um, aufgrund der faszinierenden Praesenz seiner Objekte. Die Akzentuierung, die unsere Wahrnehmung in Bahn haelt, ruehrt einmal von dem geradezu extremen Licht-Schatten-Spiel umd damit einer hochplastischen Wirkung her, zusaetzlich durch den Kunstgriff, alle abgelichteten Gegenstaende auf ein Regalbrett zu stellen, und sie so isoliert hervorzuheben, gewissermassen auf dem Praesentierteller (gemaess der deutschen Redewendung). Ein Kunstgriff also, der deswegen so wirkungsvoll ist, weil das Brett selber durch den Fotografiewinkel von unten nach oben nur auf seine linear-horizontal begrenzende Funktion beschrenkt und eben nicht als Koerpervolumen integriert in die Bildaussage ist, sehr im Gegensatz zu der Koerperhaftigkeit der Gegenstaende. Architektur wird zuweilen so fotografiert, von guten Architekturfotografen, wie etwa dem Duesseldorfer Kuenstler Markus Schwier.
“Geonetrie der Hygiene”: dieser Titel nimmt sich erst einmal raetselhaft aus. Wir verstehen aber, dass die Bilder von Guschtschin streng, geometrisch aufgebaut sind. Bei genauerem Hinsehen bemerken wir, dass eben nicht alles so geometrisch ist, wie es beim ersten Anblick wirkt: eine Form wicht aus oder ab, rutscht weg, es passt eben nicht alles, oder “geht schief”, wie der Kuenstler es in seinem nahezu perfekten gestochen artikulierten Deutsch formuliert.
Bevor sich also der geometrische Gegenstand, simple Plastikbecher, Messer und Gageln, Toilettenpapier, Schwaemme und Seifen, aufloesst in seiner Vergaenglichkeit durch Nutzung der Konsum, haelt ihn die Fotografie fest und gibt ihm die feierliche Ehre auf der Buehne, die das Regalbrett ihm bietet, sozusagen zum letzen Mal aufzutreten und somit bemerkt zu werden – ueber siene Zeit hinweg und Teil eines imaginaeren Archiv von Dingen zu werden, die als solche nicht haltbar sind.
“Hygiene” ist, wenn man will, die Blockierung organisches Wachstums von Dreck, Schmutz, Kot und Abfall durch systematisch strukturierte Beseitigungshandlungen und Materialien wie Seife, Schwamm, Toillettenpapier, Wegwerfbehaelter und –besteck, damit nicht das Nur-Organische, chaotische Oberhand gewinnt, sondern das Ordnungsprinzip, also die Geometrie, die Gegenstaende zusammenhaelt, auch in ihrer Beziehung untereinander. Daher arbeitet Guschtschin in Serien, um solche Beziehungsgeflechte zur Entfaltung, zu ihrer Gesamtform kommen zu lassen.
Im Paradox ihrer Entkontextualisierung und des Neu-in-Beziehungsetzen ihrer isolierten Aus-Stellung befreit der Kuenstler die banalen Alltagsgegenstaende vom Alltag, holt sie, wie gesagt, aus Gebrauch und damit aus der Zeit heraus – ein Vorgang der Mythisierung bzw. Auratisierung, der darin besteht, dass Menschen andere Raeume und andere Zeitablaeufe und Rhythmen fuer exponierte Gegenstaende und Beziehungen erfinden. Man koennte auch sagen: der Kuenstler gibt in seinen Fotoinszenierungen den Sachen ein neues Geheimnis, das vielleicht ihr altes ist, er weist auf etwas in ihrer banalen Sachlichkeit verborgenes hin, auf einen Maerchenzusammenhang vielleicht. Paradox ist die Inszenierung deshalb, weil einerseits in seiner fotografischen Analyse der Formen der Geist des Objektes freigesetzt wird und andererseits er sich von ihnen verabschiedet, indem er ihnen in seinen Fotografien Maerchensaerge aus gefrorenen Augenblicken zimmert. Wir kennen aenliche Verfahrenweisen der Belebung von Gegenstaenden aus dem im Vergleich mit Guschtschins Technik weit wenigeg subtilen Animationstechniken des Trickfilms, so seit Walt Disneys Film der tanzenden Speisekammerutensilien aus den 30-er Jahren. In der 30-er Jharen war auch die Bluetezeit einerseits des dadaistischen und surrealistischen Dingverstaendnisses sowie naturkundlichen Pflanzenfotografien von Blossfeldt. Guschtschins Aufnahmen bzw. Serien tragen von beiden eine Erinnerung: sie sind die uebriggebliebenen Reste eines rationalistischen Dinges und Welterklaerung wie gleichzeitig von irrationalistischen, sich verbergenden Zusammenhaengen. Ihr Inszenator, der sie aus seiner Umgebung oder zufaelligen Begegnungen herausgeholt hat, ist Ironiker. Weil er sie eigentlich liebt, will er sich nicht entscheieden, ob sie im Zustand geometrischer Hygiene halten will oder sein artifizieler Augenblicks-Archiv einen Abschiedsgruss auf dem Weg fortschreitender Vergaenglichkeit darstellt, - sterile Sicherheit oder maerchengeschmueckte Aufloesung. Weil diese artifizielle, hochaesthetische Licht-Schatten-Natur seiner Werke uns neue Einsichten in den Geist und die Natur der Gegenstaende eroeffnet, verlebendigen sich Guschtschins, auf den ersten Blick so nuechterne, geradezu duerftige Movive und durchdringen die Schichten unserer abgestumpfen Wahrnehmungsfaehigkeit. Nicht wie Morandis in sich objektiviert ruhende Sachwelt, nicht wie vom Menschen verlassenen, nach ihm schreienden Dinge in Robert Wlsers Interieur-Fotos, sondern als beseelung unserer Dingwelt mit den Mitteln, dem Wissen und der Kompetenz der Kunst und deres Meisters. Hierin wenigstens folgt Guschtschin dann doch, was ja die Fachwelt seines Landes in Abrede gestellt hat, nicht der ranzoesischen oder deutschen Linie der Neuen Sachlichkeit, sondern ist Russe und voellig eigenstaendig.
Ich danke Ihnen!